Wenn YouTube ein Lebensmittelkonzern wäre …

2. April 2014

… dann würde er zuerst den Namen auf YouFood™ ändern. YouFood™ hätte enorm viele Läden, welche erst einmal ausschliesslich leere Regale enthielten. Diese Regale würden von Lebensmittelproduzenten selbstständig gefüllt. Der Vorteil wäre, dass YouFood™ nur ganz wenige Mitarbeiter bräuchte, die schauen würden, dass nichts von den Regalen herunterfällt. Sonst hätten sie nicht viel zu tun. Den Überblick über das Angebot hätten sie nicht; dafür wären die Läden viel zu gross.
Die Konsumentinnen und Konsumenten würden dann selber suchen, was sie kaufen möchten. Das wäre nicht ganz einfach, weil alles etwas unordentlich wäre und Angaben über Inhaltsstoffe fehlen würden – aber dafür wäre es enorm preiswert. Sollte es jemandem nach Konsumation eines YouFood™-Artikels schlecht werden – etwas Schlimmeres wollen wir bei unserem Planspiel für einmal nicht annehmen – würde ein Zettel über das Regal gehängt mit der Aufschrift: „Das Lebensmittel wurde uns gemeldet, weil einige Käuferinnen und Käufer es für problematisch erachten!“ Das wäre eine äusserst praktische, preiswerte Art der Lebensmittelkontrolle.
In jedem Geschäft gäbe es abgeschlossene Spezialvitrinen, in denen Alkohol und Tabak angeboten würden. Nur wer 18 Jahre alt ist, könnte diese Türen öffnen, und zwar so: Bei jeder Türe wäre ein Knopf, den man drücken müsste. Darüber wäre die Aufschrift: „Bestätige, dass du 18 bist, indem du den Knopf drückst!“ Diese Knöpfe wären maximal einen Meter über Boden angebracht, damit kleine Kinder sie auch erreichen können.

Guten Appetit bei YouFood™!


Das Hausarzt-Modell

1. März 2014

Wussten Sie, dass es auch in der Gewaltprävention ein „Hausarzt-Modell“ gibt? Sicher ist es Ihnen auch schon so ergangen: Sie hatten eine Verletzung oder eine Krankheit, und waren genesen. Doch was sagt der Arzt, anstatt Sie mit strahlendem Händedruck zu entlassen? „Zeigen Sie sich doch nochmals in zwei Wochen!“ Natürlich tun Sie ihm den Gefallen, obwohl Sie innerlich überlegen, ob Sie da wohl ihrem Arzt helfen müssen, eine neue Immobilie zu finanzieren. Doch dann sagen Sie sich, dass ihr Arzt halt sehr gewissenhaft ist.

Diese Methode des „Nochmals-sehen-wollens“ habe ich für meine Gewaltpräventionsarbeit übernommen. Manchmal habe ich es mit schlimmen Fällen, uneinsichtigen Kindern und Jugendlichen zu tun, oder – schlimmer noch – ich habe es mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die mir bei meiner Intervention wie aus der Pistole geschossen und mit frommem Blick versichern, dass sie eine solche Missetat die nächsten 120 Jahre sicherlich niemals mehr wiederholen würden.
In solchen Fällen habe ich mir angewöhnt, den Beteiligten zu sagen: „Schön, dass ihr jetzt Frieden habt. Mal schauen, wie lange er anhält – kommt doch morgen um 16:00 Uhr nochmals bei mir vorbei!“
Das gefällt den Jugendlichen gar nicht. Noch weniger gefällt ihnen, dass ich anderntags sagen werde: „Schön, dass ihr jetzt Frieden habt. Mal schauen, wie lange er anhält – kommt doch in zwei Tagen um 16:00 Uhr nochmals bei mir vorbei!“
Je nach Eindruck werden dann diese Fristen verlängert. Was bei dieser Methode äusserst wichtig ist: Den Beteiligten muss der nächste Termin grad am Ende des jeweiligen Treffens mitgeteilt werden. Dies ist unendlich wirkungsvoller, als wenn gesagt wird: „Ich werde euch irgendwann einmal fragen, ob alles in Ordnung ist.“ Die Jugendlichen sollen den kommenden Termin mit sich herumtragen müssen – so wie Sie Ihren Zahnarzttermin mit sich herumtragen.

Bei Mobbing- und Cybermobbing-Fällen ist das „Hausarzt-.Modell“ unabdingbar. Immer wieder bin ich erstaunt, wie schnell die Jugendlichen ihr Mobbing beenden, sobald ein Erwachsener ihnen gegenüber tritt und „Übung abgebrochen“ erklärt.
Die grosse Gefahr besteht darin zu meinen, der Fall sei jetzt wirklich zu Ende. Techniken der Mediation helfen, dass es für alle Beteiligte eine win-win-Situation gibt. Sollte dem Opfer viel Leid angetan worden sein, so braucht es eine spezielle Form der Mediation, den „Täter-Opfer-Ausgleich“; zusätzlich ist für das Opfer eine therapeutische Aufarbeitung in Erwägung zu ziehen.


Safer Internet Day

13. Februar 2014

Diesen Dienstag war der diesjährige „Safer Internet Day“. Sie haben ihn verpasst? Machen Sie sich nichts draus. Es gibt ihn jedes Jahr – und zwar immer am zweiten Tag der zweiten Woche des zweiten Monats des Kalenderjahrs. Ich finde diese „Zweier“-Regelung äusserst gelungen, vor allem, weil man bezüglich Sicherheit im Internet auch stets Zweiter macht.
Interessant ist, wer sich an diesem Tag jeweils beteiligt. Immer wieder reibe ich mir die Augen, wenn ich sehe, dass Telefongesellschaften dann grosshals von „Medienkompetenz“ sprechen. Jene Gesellschaften, die bereits den Jüngsten beinahe gratis Smartphones nachschmeissen, schulen uns Dummies dann in „Medienkompetenz“. Wären wir keine Dummies, würden wir allzeit nützliche von schädlichen Inhalten unterscheiden können, zielgerichtet Suchmaschinen gebrauchen, niemals Andere beleidigen und keinesfalls versehentlich auf einer Sexseite landen. Kennen Sie so einen Titan, der das alles beherrscht? Ich nicht!
Darum heisst für mich „Medienkompetenz“ nichts anderes als: „Schütze dich selbst – wir tun es nicht!“ Das ist Scheinheiligkeit pur. Und nur im Internet ist dies möglich! Oder wären Sie etwa damit einverstanden, dass wir die Alterslimite für Alkoholkauf aufheben und dafür unsere Kinder in Alkoholkompetenz schulen?


Lehrer-Praktikant filmte Schulkinder in Garderobe – 20-Minuten-Artikel

1. Februar 2014

Kinder einer ersten und zweiten Primarklasse waren davon betroffen, dass ein Lehrer-Praktikant in die Mädchengarderobe der Schwimmhalle eine Znünitasche mit versteckter, laufender Kamera hängte.

http://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/21832845

Da dies in der Nähe meines Wirkungskreises geschah, konnte ich die Auswirkungen des Vorfalls hautnah miterleben. Diese Auswirkungen auf die betroffenen Kinder sind nicht zu unterschätzen. Das Geschehnis kann ihr Weltbild von „Gut und Böse“ sehr ins Wanken bringen. Zu diesem Weltbild gehört, dass Eltern, Verwandte und Erziehende/Betreuende zu „den Guten“ gehören. Müssten Kinder zeichnen, wie sie sich einen bösen Mann vorstellen, so würden sie vermutlich eine dunkle, düstere abstossende Gestalt malen. Vertrauenspersonen passen nicht in diese Vorstellung.

Mir tut der Vorfall für die betroffenen Kinder sehr leid! Neben den Kindern hat der Täter auch der Institution Schule einen grossen Schaden zugefügt. Das Erarbeiten einer Vertrauensbasis muss nun wieder neu beginnen.

Die Erwachsenen haben viel in der Hand, den Kindern bei der Aufarbeitung des Vorfalls zu helfen. Es ist keine Lösung, den Vorfall zu ignorieren – es ist aber auch keine Lösung, den Vorfall immer wieder neu aufzuwärmen (nur um die Kinder immer wieder trösten zu können). Hilfreich ist, wenn die Erwachsenen nun zeigen, dass sie den Kindern ein fester Halt sind.
Offene Fragen können helfen, Anteil zu zeigen, ohne das Geschehene immer wieder in Erinnerung zu rufen. Dies bedeutet:
Statt: „Geht es dir immer noch schlecht?“ – besser: „Wie geht es dir?“
Statt: „Hast du vom bösen Mann geträumt?“ – besser: „ Wie hast du geschlafen? “

Oft braucht es auch gar keine Fragen, sondern einfach nur die Nähe der Eltern, damit die Kinder merken, dass sie ihr Weltbild nicht gänzlich revidieren müssen.

Den Kindern, die so toll reagiert haben und der Lehrerin und dem Schwimmlehrer, die sich so dezidiert gegen den Täter stellten, ist ein grosses Lob auszusprechen!


Gretchenfragen

30. Januar 2014

Letzthin stolperte ich wieder einmal über die Hausordnung unserer Schule und blieb an der Präambel hängen, die ich in der Vergangenheit gar nie richtig beachtet hatte:

„Wir tragen Sorge zu uns selber! – Wir tragen Sorge zu einander! – Wir tragen Sorge zu allen Sachen!“

Etwa zur gleichen Zeit wurde mir bewusst, dass wir damit aufgehört hatten, die alljährliche Bücherkontrolle durchzuführen, bei der jeweils entschieden wurde, ob man ein Schulbuch nochmals einem Schulkind zumuten kann. Diese Kontrolle wurde nicht etwa aufgehoben – die gehäuften Wechsel im Lehrkörper brachten mit sich, dass sie einfach untergegangen war.
Dummerweise fragte ich an einer Teamsitzung, wie das „Sorge tragen zu allen Sachen“ zur entfallenen Bücherkontrolle passe, was mir umgehend den „Kaktus des Tages“ einbrachte, weil sich niemand wirklich nach dieser stumpfsinnigen Arbeit zurückgesehnt hatte. Aber ich blieb hartnäckig und begann mit meinen Gretchenfragen:

Wie kann verlangt werden, Sorge zu allen Sachen zu tragen, wenn es Ende Schuljahr egal ist, wie diese Sachen aussehen?

Oder beginnt das Sorge tragen erst bei den Lehrerinnen- und Lehrerautos, die am Rand des Pausenplatzes stehen?

Wie gehen wir damit um, wenn wir mit der Deutschstunde beginnen wollen, Sven aber wissen möchte, was eine „Tunte“ ist, weil das jemand in sein Buch hineingekritzelt hatte (und die anderen dann weitere „lustige“ Beispiele finden)?

Wie gehen wir mit Kritzeleien auf den WCs um? Werden sie entfernt oder stehen gelassen? Nach welcher Zeit werden sie entfernt?

Wie gehen wir mit Sprayereien auf den Schulhausmauern um?

Was halten wir davon, dass die gute, alte Abwartswohnung aufgehoben wird zugunsten neuen Schulraums? Vermissen wir es, dass es keinen Abwart mehr gibt, der auch in der unterrichtsfreien Zeit vor Ort ist – oder mögen wir es dem neuzeitlichen LHT (Leiter Hausdienst & Technik) gönnen, dass er am Abend das Schulhaus verlassen kann und seine wohlverdiente Ruhe hat?


Schon Sechsjährige stellen ihre Bilder ins Internet – 20-Minuten-Artikel

25. Januar 2014

Am 24. Januar berichtete 20 Minuten vom Gebrauch der neuen Medien durch Kinder im Vorschulalter.

http://www.20min.ch/schweiz/news/story/20614509

Erschreckend, wie sich die Kinder unbedarft präsentieren, ohne Begleitung Erwachsener, ohne sich der Gefahren bewusst zu sein.

Leider hat es sich gezeigt, dass Eltern Informationsveranstaltungen häufig fernbleiben. Dies geschieht nicht aus Ignoranz, sondern deshalb, weil sie sich gar nicht vorstellen können, welche Gefahren auf ihre Kinder lauern. Da sie kein Informationsmanko verspüren, bleiben sie zu Hause.

Einige Schulgemeinden haben auf dieses Phänomen reagiert und deshalb Informationsveranstaltungen einberufen, welche sie nach §56, Absatz 3 des Volksschulgesetzes des Kantons Zürich für obligatorisch erklärten.

§56.3: „In besonderen Fällen kann die Schulleitung oder die Schulpflege den Besuch einzelner Elternveranstaltungen obligatorisch erklären.“

Es stellt sich nun die Frage, ob die oben beschriebene Problematik die Einberufung einer obligatorischen Elternveranstaltung rechtfertigt. Aus folgenden Gründen bin ich der Meinung, dass die Rechtmässigkeit gegeben ist:

1. Da das Bewusstsein über die Gefahren der neuen Medien nicht vorhanden ist, kann nur eine Veranstaltung dieses Bewusstsein schaffen. Es kann nicht darauf gewartet werden, bis tragische Vorfälle (Cybermobbing, Pädophilie usw.) die Angesprochenen aufrütteln.

2. Schulgemeinden, welche ihre Präventionsveranstaltungen für obligatorisch erklären, machen damit durchwegs gute Erfahrungen. Dies belegen die positiven Rückmeldungen am Ende der Veranstaltungen.

 

Zur Veranschaulichung ein Fall, bei dem ich als Ratgeber beigezogen wurde:

Eine Lehrerin hört zufällig, wie sich zwei Zweitklässler (Primarschule) damit brüsten, am Nachmittag einen Mann zu treffen, den sie beim Chatten kennen gelernt haben. Durch eine sofortige Intervention seitens der Schule kann das Treffen verhindert werden.

Es zeigte sich, dass die Eltern der beiden Zweitklässler keine Ahnung hatten, dass ihre Kinder sich in Chaträumen aufhielten und das Internet nutzten. Sie waren der Meinung, dass die Kinder bloss Computergames – ohne Internet – spielten. Ein herzlicher Dank der aufmerksamen Lehrerin!


Brrtschka

25. Januar 2014

„Marissa hat mich in der Pause ,Schlampe‘ genannt!“ Vor mir steht Blerina, mit ernstem Blick, und da ich keine Reaktion zeige, wiederholt sie ihre Klage: „Marissa hat mich in der Pause ,Schlampe‘ genannt!“

Wie ich doch diese Schimpfwörter hasse! Manchmal denke ich, unsere Pausenplätze bestünden ausschliesslich aus Schlampen, Nutten und Bitches. Am liebsten wäre ich davongelaufen, doch Blerina wartete ungeduldig auf meine Reaktion. So beschloss ich, die Geschichte einmal auf eine unübliche Art anzugehen, und es entwickelte sich folgender Dialog:

„Wie hat dich Marissa genannt?“ „Schlampe! Iridona kann es bezeugen!“ Iridona steht neben Blerina und nickt. „Bist du ganz sicher, dass dich Marissa ,Schlampe‘ genannt hat?“ Blerina und Iridona nicken. „Uff, da bin ich aber erleichtert!“, antwortete ich mit einem tiefen Aufatmen. „Hä?!?“ „Ja, wisst ihr, ich dachte schon, sie hätte etwas anderes gesagt. Aber wenn es bloss ,Schlampe‘ war, dann haben wir nochmals Glück gehabt!“ „Glück?!?“

„Ja, stell dir vor, sie hätte dich ,Brrtschka‘ genannt!“ „Brrtschka?“ „Brrtschka!“ Blerina zu Iridona: „Weisst du, was das heisst?“ „Nö!“ „Was“, sagte ich nun ungläubig, ihr wisst nicht, was das bedeutet?“ „Keine Ahnung! Können Sie uns sagen, was Brrtschka bedeutet?“, wollten nun die beiden wissen. „Das erkläre ich euch nicht“, sagte ich mit steinerner Miene, „ich müsste so schlimme Wörter gebrauchen – das darf ich als Lehrer nicht!“ „Aber das müssen Sie uns doch erklären, damit wir richtig reagieren können, wenn uns das jemand sagt!“ „Ich bleibe dabei, das erkläre ich nicht. Und übrigens, ich dachte, das sei ein Wort eurer Muttersprache! Aber – fragt doch eure Eltern! Die können euch gerne die Bedeutung von ,Brrtschka‘ erklären!“ Blerina holte einen Stift und schrieb auf ihren Handrücken. „Mit zwei r“, fügte ich noch an – und hatte für den Rest des Tages Ruhe.

Am nächsten Tag erschien Blerina wutschnaubend in der Schule, ging grusslos an mir vorbei und setzte ich an ihren Platz. „Guten Morgen, Blerina!“, rief ich ihr zu. „Sie haben uns hereingelegt! Dieses Wort gibt es gar nicht!!!“ „Da hast du recht! Ich wollte nur zeigen, wie schnell ihr euch beleidigen lasst und es überhaupt keine Rolle spielt, was man euch sagt!“ Da musste die ganze Klasse lachen, und seither ist bei uns alles „Brrtschka“. Vor allem Schule am Montagmorgen, das ist Mega-Brrtschka!


Schulen der Stadt Zürich erhalten kein Amok-Alarmsystem

17. Januar 2014

Wie diese Woche zu erfahren war, wurde das geplante Amok-Alarmsystem für Schulen der Stadt Zürich im Gemeinderat abgelehnt.

http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Schulen-erhalten-kein-AmokAlarmsystem/story/23992416

Die Ablehnung ist zu bedauern. Die Problematik besteht darin, dass abgewägt werden muss zwischen der kleinen Wahrscheinlichkeit eines Amoklaufs und dem unsäglichen Leid, das er beim Eintreffen verursacht.

Das Leidenspotenzial hätte meiner Meinung nach stärker gewichtet werden sollen. Es wäre interessant zu erfahren, ob die Tatsache, dass solche Systeme im Ernstfall bereits Leben gerettet haben, diskutiert wurde.

Allerdings war das vorgesehene System sehr exklusiv, so dass es seinesgleichen gesucht hätte. Es hätte kostengünstigere Varianten gegeben, die schneller hätten umgesetzt werden können. Diese Varianten wurden nicht weiter verfolgt, da allseits damit gerechnet wurde, dass das vorgesehene Projekt umgesetzt würde.

Die Amok-Prävention in der Stadt Zürich wurde um Jahre zurückgeworfen. Schade!


Messer und Worte

14. Januar 2014

Besser ein Messer als ein Wort.
Ein Messer kann stumpf sein.
Ein Messer trifft oft am Herzen vorbei.
Nicht das Wort.

(Hilde Domin)