Am 17.11.2016 erschien im Tages-Anzeiger, von Philippe Wampfler, folgender Artikel:
http://www.tagesanzeiger.ch/leben/bildung/kinder-bringt-eure-handys/story/26752075
Dazu habe ich folgenden Leserbrief verfasst:
Leserbeitrag zu „Kinder, bringt eure Handys“
Der Beitrag von Philippe Wampfler lässt viele Aspekte der Thematik unberücksichtigt:
Es gilt zu unterscheiden, ob seine Forderung die Primarschule oder die Sekundarstufe 1 betrifft. In beiden Stufen ist der Einbezug der digitalen Medien im Unterricht sehr zu begrüssen.
In der Primarschule sollten dies jedoch zwingend Tablets sein (ein Gerät pro Kind), welche die Schule zur Verfügung stellt. Dies deshalb, weil die Schule nur dort gewährleisten kann, dass die Geräte sinnvoll eingesetzt werden. Meine Erfahrungen als Kontaktlehrperson für Gewaltprävention zeigen, dass digitale Geräte in der Freizeit oft für Beleidigungen, Ehrverletzungen, Drohungen, Nötigungen, Erpressungen und Mobbing gebraucht werden. Dies tritt häufig in sechsten Klassen auf, wo teilweise bis weit nach Mitternacht solche Taten begangen werden – in einer Zeit, in der sich die Kinder eigentlich auf den Übertritt in die Sekundarstufe 1 vorbereiten sollten. Dazu sollten die Schulen nicht Hand bieten. Wenn nun Herr Wampfler fordert, Handys in die Schule zu bringen, so setzt er ein falsches Zeichen. Politiker und Politikerinnen werden dieser Forderung sehr gerne nachkommen, weil sie eine Sparübung ist, die erst noch scheinbar positiv begründet werden kann. Zudem werden Eltern, die einen sehr differenzierten Umgang mit den digitalen Medien pflegen, indem sie z.B. ihren Primarschulkindern keine eigenen Geräte schenken, sondern den Zugang mit einem Familiendandy gewährleisten, sträflich im Stich gelassen.
Es gibt Schulgemeinden, die in der Sekundarstufe 1 Jugendlichen Tablets zur Verfügung stellen, welche sie auch zu Hause benützen dürfen. Solche Geräte durch eigene zu ersetzen, ist diskutabel.
Aber auch auf dieser Stufe – erst recht – ist es möglich, die Geräte für unerwünschte Tätigkeiten zu verwenden. Viele Schulen stellen sich auf den Standpunkt, dass sie nicht für Missbrauch der Geräte zu Hause verantwortlich sind. Dies mag rechtlich stimmen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Schule ihrem Bildungsauftrag nachkommen kann, wenn sich die Kinder in der Freizeit bedrohen, beleidigen und Mobbing betreiben.
Auch wenn diese negativen Tätigkeiten die Freizeit betreffen, muss sie die Schule abfedern, weil die Auswirkungen in die Schule hineinreichen. Das heisst, dass Schulen gestärkt werden müssen in weitergehenden Kompetenzen. Sie müssen Mobbingfälle erkennen und – zusammen mit den beteiligten Familien, ggf. auch mit Beizug von Fachkräften – lösen können. Dazu sind mediative Ansätze unerlässlich, weil sie win-win-Lösungen fördern, von denen alle (auch die Täterinnen und Täter!) profitieren. Erst wenn eine Schule eine solche Kultur pflegt, werden die Jugendlichen bereit sein, Mobbingfälle zu melden. Andernfalls geben die digitalen Medien den Jugendlichen unendlich viel Raum, ihr Mobbing unentdeckt weiterzutreiben.
Es wäre schön, wenn sich Herr Wampfler einmal mit einem Gewaltpräventions-Experten zusammensetzen würde. Den dabei entstehenden Lösungsansätzen dürfte gespannt entgegen geblickt werden.
Christian Bochsler
Kontaktlehrperon für Gewaltprävention Coach, Supervisor, Mediator