Wussten Sie, dass es auch in der Gewaltprävention ein „Hausarzt-Modell“ gibt? Sicher ist es Ihnen auch schon so ergangen: Sie hatten eine Verletzung oder eine Krankheit, und waren genesen. Doch was sagt der Arzt, anstatt Sie mit strahlendem Händedruck zu entlassen? „Zeigen Sie sich doch nochmals in zwei Wochen!“ Natürlich tun Sie ihm den Gefallen, obwohl Sie innerlich überlegen, ob Sie da wohl ihrem Arzt helfen müssen, eine neue Immobilie zu finanzieren. Doch dann sagen Sie sich, dass ihr Arzt halt sehr gewissenhaft ist.
Diese Methode des „Nochmals-sehen-wollens“ habe ich für meine Gewaltpräventionsarbeit übernommen. Manchmal habe ich es mit schlimmen Fällen, uneinsichtigen Kindern und Jugendlichen zu tun, oder – schlimmer noch – ich habe es mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die mir bei meiner Intervention wie aus der Pistole geschossen und mit frommem Blick versichern, dass sie eine solche Missetat die nächsten 120 Jahre sicherlich niemals mehr wiederholen würden.
In solchen Fällen habe ich mir angewöhnt, den Beteiligten zu sagen: „Schön, dass ihr jetzt Frieden habt. Mal schauen, wie lange er anhält – kommt doch morgen um 16:00 Uhr nochmals bei mir vorbei!“
Das gefällt den Jugendlichen gar nicht. Noch weniger gefällt ihnen, dass ich anderntags sagen werde: „Schön, dass ihr jetzt Frieden habt. Mal schauen, wie lange er anhält – kommt doch in zwei Tagen um 16:00 Uhr nochmals bei mir vorbei!“
Je nach Eindruck werden dann diese Fristen verlängert. Was bei dieser Methode äusserst wichtig ist: Den Beteiligten muss der nächste Termin grad am Ende des jeweiligen Treffens mitgeteilt werden. Dies ist unendlich wirkungsvoller, als wenn gesagt wird: „Ich werde euch irgendwann einmal fragen, ob alles in Ordnung ist.“ Die Jugendlichen sollen den kommenden Termin mit sich herumtragen müssen – so wie Sie Ihren Zahnarzttermin mit sich herumtragen.
Bei Mobbing- und Cybermobbing-Fällen ist das „Hausarzt-.Modell“ unabdingbar. Immer wieder bin ich erstaunt, wie schnell die Jugendlichen ihr Mobbing beenden, sobald ein Erwachsener ihnen gegenüber tritt und „Übung abgebrochen“ erklärt.
Die grosse Gefahr besteht darin zu meinen, der Fall sei jetzt wirklich zu Ende. Techniken der Mediation helfen, dass es für alle Beteiligte eine win-win-Situation gibt. Sollte dem Opfer viel Leid angetan worden sein, so braucht es eine spezielle Form der Mediation, den „Täter-Opfer-Ausgleich“; zusätzlich ist für das Opfer eine therapeutische Aufarbeitung in Erwägung zu ziehen.